Es war ein glücklichster Augenblick: Samstagnacht zur Abschlussparty im Kino „Skarpa“. Tomasz und Yga, die Organisatoren der „Parada Rownosci“, hatten die schwedischen Unterstützer auf die Bühne gebeten, dankten, versprachen eine Überraschung und gingen zur Seite. Auf der Leinwand erschien eine singende Blondine: „I'm nothing special, in fact ...“
Kurz jubelte die Menge auf, ein paar hundert Feuerzeuge entflammten, es wurde ungehemmt mitgeträllert. Den Freunden in der Nähe ging es nicht anders als mir: Sie kämpften mit ihrer Rührung, mehr oder weniger verschämt. Dergleichen würde in Berlin doch als allzu schwule Sentimentalität gelten.
Aber es war nichts Verlogenes an der Stimmung, vielmehr etwas Heiteres, Gelöstes, ganz und gar Freies. Die Anspannung war entschwunden und dem Staunen gewichen, dass wir es geschafft hatten.
Obwohl alles dagegen gesprochen hatte, war alles gelungen: Die Parade war genehmigt worden. Die Polizisten, vor einem halben Jahr noch Teil der Unterdrückungsmaschinerie, hatten unsere Demo umsichtig geschützt. Die Homophoben waren zu Wort gekommen, hatten brüllen und Transparente herzeigen dürfen, und sie hatten dabei verbiestert, armselig, in jeder Hinsicht klein gewirkt. Die Sonne hatte geschienen, viele, die sich zuvor nicht trauten, waren gekommen, hunderte Warschauer hatten freundlich gewunken. Und nun schien es, als würde ABBA höchstpersönlich im Skarpa „Thank You For The Music“ singen, vor ein paar Hundert Schwulen, Lesben und Freiheitsfreunden aus ganz Europa.
Nichts auf der Abschlussparty glich dem in Berlin oder London Üblichen, den perfekten, durchkommerzialisierten Abenden für Konsumenten. Es wirkte sehr improvisiert, dilettantisch: mit abscheulicher Tonanlage – Jimmy Somerville würde sich wenig später immer wieder vor ihr erschrecken; mit allzu wenig Licht auf der Bühne; mit längeren Programmpausen.
Aber es herrschte diese herrliche Stimmung wie schon am Nachmittag während der Kundgebung auf dem Theaterplatz. Da war das Gefühl der Solidarität, des Auf-den-Anderen-Aufpassen-Wollens, das aber ohne Gruppenzwang auskam. Da war eine stille Ernsthaftigkeit, die mit Heiterkeit einherging. Dem Charme der Demo waren die Homophoben nicht gewachsen. Man sah einfach, dass es unter Liberalen unverbiestert, ausgelassen und keineswegs langweilig zugeht. In den Ohren derer, die nicht dabei waren, mag es übertrieben klingen: Aber für die Dauer von „Thank You For The Music“ wirkte die Partymenge im Skarpa wie eine Ansammlung freier, glücklicher Menschen.
So etwas erlebt man selten. Man kann es nicht herbeizwingen und – wie die erste Liebe – kaum wiederholen. Aber die Aura scheint weiterzuwirken. Auf der Heimfahrt im Zug, stieg in Posen eine Gruppe älterer Polinnen zu, ärgerte sich, dass alle Plätze besetzt waren, schimpfte über die Schwulen, die da durch die Gänge drängten. Und es kamen immer mehr vorbei, mit dem typischen wiegenden Gang und dem untypisch beglückten Gesichtsausdruck. In Berlin hatten sich die Polinnen entspannt, lächelten und wünschten „Alles Gute“. In Warschau hat wohl etwas begonnen, das nicht mehr aufzuhalten scheint.